das leben und die zitronen. oder so.


der schuh liegt neben mir und lacht mich aus. seit stunden lieg ich hier auf dem boden. kalte kacheln in weiß und schwarz. mit dem weinen habe ich endlich aufgehört. die augen endlich leer. stehe auf. mit nur einem schuh. die kraft hatte gerade einmal gereicht für einen schuh.
habe den koffer in die wohnung gerollt. den einen schuh ausgezogen. und lag auf dem boden, bevor ich noch den anderen.
erbärmlich. du bist so erbärmlich.
bring dich doch einfach um.
ja.
ja.
ich mache es.
ich bring mich um.
wie meine karriere. die jetzt tot in der ecke. neben meiner beziehung. erbärmlich. du bist so erbärmlich. nein. nicht schon wieder. heulen. und schon lieg ich wieder auf dem boden.
weil meine postings nicht mehr witzig. nicht mehr geil. nicht mehr edgy. ihr könnt mich mal.
weil ich mehr werbung. und nicht social media. geh ich halt in die werbung. die zahlen besser.
kündigungsfrist. meint ihr, ich arbeite noch einen tag länger in eurem saftladen?
sicher nicht. dachte ich. öffnete die nachrichten für die saftmarke. und begann mit dem sozialen scheißdreck.
nicht mehr so ganz unschuldig wie der name der marke schrieb ich der clara, die sich über ihren vergorenen smoothie aufregte, fick dich. nein. FICK DICH, schrieb ich. groß. weil großschreiben bei dieser marke nicht erwünscht. und weil man persönliche nachrichten nicht mehr löschen kann wie postings. FICK DICH. mit smiley dahinter. denn smileys sind auch verboten bei dieser marke.
sven hatte ein ganz tolles bild von sich und dem energie-smoothie geschickt.
lieber sven, das ist ja toll. ich hoffe dein mikropenis wird dadurch ein wenig größer, wenn du dir diese grüne grütze pürierten spinat hinter die binde kippst. erstick dran. und ja. plastikflaschen sind eigentlich schädlich für die umwelt. vergiss die automatisierte nachricht, die ich dir vor zwei wochen geschickt habe als du dich über unsere kleinen plastikflaschen aufgeregt hast.
lieber
liebe
lieber
liebe
liebe lieber
lieber nicht.
so ging das zwei stunden. ich lachte und trank die flasche rosé, die mein chef für besondere anlässe immer im kühlschrank. und besondere anlässe gab es immer. jedes brainstorming war ein fucking besonderer anlass. denn kreative hirne einer kreativagentur brauchten alkohol für die kreativität.
geht’s dir gut? ja. voll. mir geht’s super. nur die tatsache, dass ich seit ungefähr einem halben jahr keinen sex mehr hatte und beim letzten gespräch mit meinem freund meine zukunft gegen die wand gefahren ist, belastet mich ein wenig. ebenso vielleicht auch ein klein wenig die tatsache, dass du letzte woche meiner praktikantin meinen job angeboten hast. und mich jetzt durch diese bloggerin ersetzen willst.
lies dir bitte mal die nachrichten der letzten zwei stunden durch. ich bin dann weg.
der chefkopf wurde knallrot und ich ging. lachend. mit großem knall.
julia, kann ich heute nacht bei dir pennen? und für die nächsten monate gleich bei dir einziehen?
– was? wieso?
ich verlasse peter.
– was?
ja. frag nicht. ich verlasse peter. packe meine sachen. hab ja deinen schlüssel.
– alles klar. ja. ja. ok.
und noch was.
– was?
ich hab gekündigt. glaube ich.
– wie. was?
bis später!
ich legte auf. ging in die wohnung, in die ich vor einem halben jahr gezogen war. die sexlose wohnung. weil der freund mit sich selbst nicht im reinen.
heiraten. schwule sollten nicht heiraten. kinder? nein. das ist so heteronormativ.
– bitte?
ja.
der koffer stand gepackt im wohnzimmer, das bald nicht mehr mein wohnzimmer. die halbe flasche wein schon in meinem kopf. peter ahnte es schon am telefon. der koffer keine überraschung für ihn. es machte mich wahnsinnig. er fing nicht an zu weinen. nur eine letzte umarmung. kein letzter kuss. dann schloss ich die tür hinter mir. und lag in julias küche. ohne zukunft. fühlte mich wie dresden. 1945.
umbringen. ja. stehe am fenster. den dummen schuh in der hand. öffne es. blicke hinaus. lächele der nachbarin im haus gegenüber zu. sie ignoriert mich. du postet auch sicher nur beschissenes zeug auf irgendwelche pinnwände. ich lehne mich weit nach draußen.
spring.
spring.
jetzt. komm.
spring.
ich lasse den schuh los. er fällt. ist gleich am boden. weil erdgeschoss. also genickbrechen ist hier nicht. wenn ich glück habe vielleicht meinen fuß. den fuß brechen? als ausgleich zum herz.
du bist erbärmlich.
wieso tut es eigentlich so weh? das alles. hier drinnen? jetzt?
ich habe mich doch dafür entschieden. für alles zu ende entschieden.
das war doch mein wunsch. wo bleibt die befreiung? dieses gefühl von ich kann jetzt alles. alles neu.
wo? komm schon. leben. hab ich jetzt eigentlich zitronen vom leben bekommen oder sie mir selbst vom baum gepflückt? ich bin doch auf die leiter und hab mir die zitronen runter. weil ich keine lust mehr auf saft. und viel lieber limonade jetzt. da werde ich doch jetzt bitteschön hoffen können.
gut. alle perspektiven weg. jetzt. alle gestrichen von der liste.
traumjob. weg.
traummann. weg.
nach dem ganzen desaster mit dem abschluss ein traum gleich diesen job. das wollte ich. genau das. in so einer agentur. und war doch glücklich. oder nicht? wirklich jetzt? warst du das? warst du wirklich glücklich? oder nur die ganze zeit betrunken? und dieser kerl. mal ganz ehrlich. glücklich warst du schon lange nicht mehr. du willst nicht mal ne große hochzeit. es ging dir nicht mal um romantik. es ging dir lediglich um sicherheit. und ja. irgendwann willst du kinder. das willst du dir doch nicht nehmen lassen. noch nicht. nicht bevor du ende dreißig. bis dahin hoffst du noch.
die tür geht auf. julia stürmt in die küche.
ich umarm dich jetzt nicht.
gut so. sie kennt mich viel zu gut. sieht an meinen roten augen und den heulflecken auf meiner stirn, dass eine berührung von ihr und ich wieder auf dem boden. wir sitzen schweigend am tisch. du bist so krass.
– ich weiß.

beziehungen sind doch für’n arsch.
– ja. schon. aber manchmal schön.
was war denn im letzten halben jahr schön bei euch?
– der urlaub. der war schön. irgendwie. bis zu der einen nacht, in der ich zu viel lambrusco und zu viel über das heiraten gesprochen.
junge. du warst unglücklich.
– ja. war ich.
lass uns wegziehen.
– wohin?
weg.
– und dein job?
ich find schon einen anderen. hab da eine geile idee. richtig edgy. ich verspüre den drang ihr eine ohrfeige zu verpassen.
nein. im ernst. das ist die idee.
– ok.
und bist bist dabei. perfektes timing. und in drei jahren machen wir ein kind.
– ernsthaft?
ja. ich hab keinen bock mehr auf suche nach der großen liebe. ich nehm mein leben jetzt in die hand. unser leben.
– du hast doch gesagt…
halt einfach die klappe.
eine weile sitzen wir so da. und schweigen. stoßen dann auf unser leben an. das schön.