wir danken der partei.


                 schwarze dacia. ich war neun, lebte im besten land der welt und hatte keine ahnung von revolution. mein banknachbar hieß nicu und wir beide saßen in der ersten reihe direkt vor dem bild unseres lächelnden conducătors.

jeden morgen wenn unsere lehrerin das klassenzimmer betrat, standen wir alle wie kleine soldaten auf und salutierten guten morgen frau lehrerin! in unserem ostigen akzent. legten dabei die rechten kinderhände auf unsere herzen und sangen die patriotische sozialistische hymne. eine ewigkeit.

ich bewegte nur die lippen, denn mama sagte, die hymne sei idiotisch und ich solle sie nicht mitsingen. mama sagte auch der sozialismus, wie er in diesem land betrieben würde, sei schlecht. und dass die menschen nichts zu fressen hätten, während die erste schmalzlocke im staat mit goldenem besteck esse.
darum sah ich meine mama seit einiger zeit nicht mehr.

wir waren gerade dabei polenta mit grünen bohnen zu essen, als es plötzlich laut an der tür unserer wohnung im dritten stock klopfte. drei männer standen im gang.
mama machte auf, wurde gleich von dem einen gepackt, der sie mit dem rücken zu sich drehte, ihre hände festhielt und sie abführte, während die anderen zwei wie traktoren vor unserer tür standen. stumm und böse ohne antworten.
ich rannte schnell zu unserem küchenfenster um einen blick auf meine mama zu erhaschen, die ohne jacke bei hohem schnee in eine schwarze dacia gezwängt wurde und verschwand.
papa, oma und ich verbrachten weihnachten ganz alleine. ohne mama.

immer wenn unser rotes telefon klingelte, sprang papa ganz nervös auf und hob den hörer von der gabel.
es war niemals mama, die anrief. nur der onkel, der fragte, ob mama wieder zurück sei.
nu, sagte papa dann immer und wurde traurig. trauriger als sonst.
seit dem besuch der drei männer konnte papa wegen dieser traurigkeit nicht mehr schlafen. ich auch nicht.

morgens sah ich unseren conducător nur noch mit halboffenen augen. nickte bei der hymne manchmal ein, sodass nicu mich mit einem stoß in die rippen wecken musste.
ich hatte angst sie würden auch papa mitnehmen. hatte angst ich müsste weihnachten alleine mit oma verbringen. aber die schwarze dacia kam nicht mehr. nur hörte ich seit mama weg war im telefon ganz oft ein klicken.oma nahm mir sofort den hörer aus den hand und legte auf, wenn ich nicu am telefon sagte, der sozialismus sei scheiße, weil er mir meine mama weggenommen hat.

meine noten wurden schlechter. obwohl ich genauso viel lernte wie früher. ich wollte, dass mama stolz ist, wenn sie wieder zurück. doch irgendwie konnte ich machen, was ich wollte, die frau lehrerin verlor ständig meine schularbeiten und in meinem notenbuch verschwanden die zehner. verwandelten sich auf einmal in vierer und dreier.
ich war nicht mehr der beste in der klasse und verstand es nicht. ich weinte mich in den schlaf und lag neben papa. da wo mama sonst immer geschlafen hatte.

                  deutschland. wir gingen auf die deutsche schule, weil wir deutsche waren. oma erzählte mir viel von diesem deutschland. sie war schon einmal dort gewesen.
das erste mal als sie so alt war wie ich. nur damals bedeckte deutschland beinahe den ganzen kontinent und hatte auch so einen führer wie wir. der hatte sich jedoch selber erschossen.
großmutter ist zwei jahre nach dem krieg wieder zurückgekehrt. nicht nach ungarn, zu dem unsere stadt damals gehörte, sondern in die volksrepublik rumänien. ganz groß wäre Republica Populară Română auf ihrem pass von damals gestanden, wenn sie einen gehabt hätte. jetzt lebten wir in einer sozialistischen republik. auf meinem pass stünde Republica Socialistă România. und er hätte keinen einzigen stempel drin.
ich war noch nie im ausland. im televizor sagte man das ausland sei voller imperialisten und kapitalisten. rumänien sei ein land dazwischen, sagte frau winter, unsere lehrerin.
ich musste sehr lange überlegen, was sie damit meinte, da um uns herum nur sozialistische bruderländer waren. vielleicht meinte sie mit kapitalisten ja die jugoslawen. die schienen ein bisschen freier zu sein als wir.

(...)

                  die partei. kurz nachdem der sozialismus mir meine mama genommen hatte, musste ich in der schule ein dummes gedicht lernen. dumm dachte ich, weil mama es bestimmt für dumm gehalten hätte. es ging so:

einst gab’s im land zu wenig brot
und viele kinder litten not.
das elend ist nun längst vorbei.
das danken wir unserer partei.

ich weigerte mich es auswendig zu lernen. dachte an mama und frau winter gab mir sowieso nur noch schlechte noten. hatte also folglich nichts zu verlieren.
richtig stolz nahm ich also die schlechteste note entgegen und fühlte mich revolutionär, obwohl ich nicht einmal wusste, was es bedeutete.

ich wurde zum direktor zitiert. in der klasse fühlte ich mich noch groß und stark. vor dem büro des direktors war ich ein kleiner wurm. ich saß auf dem schulgang und zitterte am ganzen körper. die anderen kinder zeigten auf mich und lachten. manche ältere schüttelten den kopf.
die bösen kinder zwinkerten und zeigten mit dem daumen nach oben. ich wollte nach hause. ich wollte zu meiner oma. nein, lieber zu mama.
der direktor kam mir hinter seinem schreibtisch riesig vor. im aschenbecher vor ihm glühte eine zigarette. er blickte mir tief in die augen. ich kam mir vor wie in einem agentenfilm.

warum willst du das gedicht nicht lernen?
ich schwieg, weil ich angst hatte, meiner mama würde etwas passieren, wenn ich sagte ich fände es dumm. außerdem war dieses gedicht gelogen. seit einiger zeit gab es nicht einmal mehr brot in den läden. und wenn doch, war es hart wie stein. das sagte ich ihm natürlich auch nicht. ich schwieg und schaute zu boden.

nach einer gefühlten ewigkeit sagte er schließlich:
du schreibst seit einiger zeit so schlechte noten. du warst doch einmal der beste der klasse.
- ich weiß nicht. frau winter...
was, frau winter?
- frau winter gibt mir so schlechte noten. ich...ich...lerne...viel...aber...weiß nicht...
stammelte ich und meine augen füllten sich mit tränen.

was arbeiten deine eltern?
- kombinat...papa arbeitet beim kombinat...
und deine mutter?

ich fing an zu weinen. hörte nicht mehr auf. der direktor nahm den telefonhörer in die hand und ich dachte, die männer kämen gleich um auch mich zu holen.

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